Magdalena Felixa: Die Fremde

Ein grandioser Roman über Fremdheit und Einsamkeit
Eine namenlose Fremde lebt illegal in Berlin und versucht, sich Tag für Tag am Leben zu erhalten. Sie hat keinen Besitz, keine Papiere und keine Wohnung. Sie ist intelligent und gebildet, sie nimmt verschiedene Jobs an – als Pianistin, Übersetzerin oder Stripperin – und findet immer wieder Unterschlupf. Es treibt sie durch diese große, bevölkerte Stadt, in der sie stets untertauchen und verschwinden muss, sie ist eine Fremde, eine Isolierte, abgeschnitten von der Gesellschaft. Zu ihrem Glück hat sie ein paar Freunde, Außenseiter wie sie, die ihr in der größten Not helfen. Sie trifft auch zwei, drei Menschen mit dem Herz am richtigen Fleck, die sie mehr als einmal vor dem Abgrund retten.

Die Fremde ist ein fesselndes Buch über eine Frau, die am Rand des genormten Gesellschaftslebens steht. Sie entspricht nicht dem Bild, das man von illegalen Einwanderern und Obdachlosen hat, sie trinkt nicht, sie arbeitet (wenn sie darf), sie ist jung, hübsch und klug, spricht mehrere Sprachen und ist teilweise in der Schweiz aufgewachsen. Aber die Mischung aus innerer Ruhelosigkeit und äußerer Gefahr führt dazu, dass sie keinen Platz findet, an dem sie bleiben könnte. Gekonnt entwickelt Magdalena Felixa in einer sehr schönen, metaphernreichen Sprache einen faszinierenden Sog, ich konnte das Buch kaum zur Seite legen. Auf den Spuren der Protagonistin sieht man als Leser Vor- und Nachteile eines geregelten Lebens mit anderen Augen. „Die Dunkelheit gibt mir Geborgenheit, sie ist meine Verbündete, sie versteckt mich vor dem Unheil. Sie wird die Zeit eine Weile aufhalten, falls ich im nächsten Augenblick fliehen muss“, sagt die Fremde, und: „Meine Freunde sind Neger, Kanaken, Schwule, Fliehende, Fremde. So wie ich.“ Sie lebt eine große Freiheit und kann tun, was sie will – doch als sie zum Beispiel an einer Lungenentzündung erkrankt, bedeutet das beinahe ihren Tod.

Inhaltlich wie stilistisch ist dieser Roman ein Highlight. Die Autorin versteht es, ein Gefühl für diese verlorene Frau zu vermitteln, die sich nicht festlegen kann und die jedes Angebot, sich lieben zu lassen, ausschlägt. „Mein Herz ist aus Eis“, sagt sie, „mein Verlangen gilt der Flucht.“ Magdalena Felixa fällt kein Urteil über eine solche Lebensweise, sie schildert sie nur – in einer sehr eindrucksvollen Sprache. Einziger Wermutstropfen: Natürlich gerät die Protagonistin auf ihrem Weg durch die sumpfartigen Schichten Berlins an Leute, die ihr Böses wollen. In diesem Fall sind es Russen (eh klar), die sie jagen – das war mir dann doch zu platt. Davon abgesehen, ist Die Fremde originell, sehr gut geschrieben, rasant, spannend und unbedingt lesenswert. 

Lieblingszitat: Mein Herz trägt tausend Wunden, und sie bluten immer noch. Eines Tages wird aus ihm kaltes, klares Wasser fließen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert