Ein Buch als Mahnmal
In den Siebzigerjahren ist Buenos Aires ein gefährliches Pflaster: Kaddish Poznan, Sohn einer jüdischen Hure, verdient Geld damit. Nachts hievt er sich über die Mauer in den jüdischen Friedhof und entfernt Namen von Grabsteinen, weil die Nachfahren Angst vor der Entdeckung haben – und ihn gut für seine Dienste bezahlen. Kaddishs Frau Lillian und sein Sohn Pato sind nicht erfreut über diese unehrenhafte Arbeit; Pato fühlt sich als kleiner Rebell. Er besitzt verbotene Bücher und träumt davon, sich gegen das grausame Regime aufzulehnen. Der Vater-Sohn-Konflikt ist sehr stark und entlädt sich gegen Mitte des Buchs auf dramatische Weise. Derweil übernimmt die Militärjunta die Macht und fackelt nicht lange – die Kinder Argentiniens verschwinden eines nach dem anderen.
Was die Atmosphäre betrifft, so erinnert mich The Ministry of Special Cases sehr stark an Der Schatten des Windes von Záfon: düster, ein wenig schaurig, ein bisschen mystisch, aber doch realistisch genug. Nathan Englander zeichnet das Porträt eines gescheiterten Mannes, dessen Träume sich nie erfüllt haben und der plötzlich das Schlimmste erlebt, was einem Vater passieren kann. Kaddish und Lillian verlieren im Laufe des Romans alles – sogar das, was das Jüdischste an ihnen ist: ihre Nasen. Sie geraten in die Schusslinie eines Regimes, wie es auf dieser Welt tatsächlich existiert hat und in vielen Ländern weiterhin existiert. Dieses Buch ist eine Mischung aus Familientragödie und Gesellschaftsabbild, gewürzt mit einer Prise Judentum: „When there’s death in the air, the Jew is more likely to catch it“, sagt Lillian.
The Ministry of Special Cases ist ein spannendes, trauriges und regelrecht deprimierendes Buch mit einem für mich sehr überraschenden Ende. Auszusetzen habe ich nicht viel, Schreibe und Inhalt reichen für mich zwar nicht zur Glorioses-Meisterwerk-Bewertung, das Buch ist aber durchgehend gut gemacht. Es behandelt Verlust und Erinnerung, Hilflosigkeit und Elternsein.
Lieblingszitat: Lillian zu Kaddish: „You’re broken in so many places for so long that – like your nose – it has come to pass for beauty.“