Exaltiert, gestelzt, einzigartig, fantastisch, anstrengend: ein Buch mit vielen Eigenschaften
Drei völlig unterschiedliche Helden, Maskenbälle und Kostüme aus dem viktorianischen Zeitalter, Frauen in Korsetts, mächtige Bösewichte und jede Menge blaues Glas: Das sind die Zutaten, aus denen Drehbuchautor Gordon Dahlquist seinen viel gelobten und sehr originellen 924-Seiten-Schmöker gestrickt hat. Und alles beginnt so: Die eigensinnige und naive 25-jährige Miss Temple ist entrüstet, dass Roger Bascombe, Angestellter des Außenministers, ihre Verlobung ohne eine Erklärung löst. Um einen Grund zu finden, folgt sie ihm zu einem Maskenball in einem abgelegenen herrschaftlichen Haus – und gerät unvermittelt in Lebensgefahr. Ähnlich ergeht es dem Auftragsmörder Kardinal Cheng, der auf demselben Maskenball einen Colonel ermorden soll, diesen aber bereits tot vorfindet. Ehe er sich versieht, ist er in dunkle Machenschaften hineingezogen und muss um sein Leben fürchten. In Gefahr befindet sich auch Doktor Svenson aus Mecklenburg, dessen Aufgabe es ist, einen Prinzen zu schützen – und der dabei denselben Bösewichten wie Cheng und Miss Temple in die Quere kommt. Alle drei treffen „zufällig“ im Hotel Boniface zusammen und schwören einander, den Ereignissen gemeinsam auf die Schliche zu gehen. Und es ereignet sich allerhand Mysteriöses: Frauen und Männer werden durch eine geheimnisvolle Prozedur, das Verfahren genannt, willenlos und gefügig gemacht. In Karten aus indigoblauem Glas werden lebensechte Erinnerungen in Bildern festgehalten. Hinter der großen Verschwörung stecken Adelige ebenso wie der Außenminister und mächtige Personen des Landes.
Die Glasbücher der Traumfresser ist ein exaltierter, eigenwilliger, spannender und anstrengender Roman, in dem Gordon Dahlquist irreale Elemente, Abenteuer, Erotik und Action wild zusammenmixt. Die Vorgänge rund um das mysteriöse Glas sind reichlich kompliziert, die ersten 150 Seiten lang versteht man erst mal gar nichts. Was aber nicht so schlimm ist – zum einen gibt es ja noch knapp 800 weitere Seiten, zum anderen ist es ganz amüsant, den drei tollpatschigen, ratlosen, aber endlos mutigen Helden des Buchs auf ihren Irrwegen zu folgen. Eine Ruhepause gibt es in diesem Roman nicht: Die ganze Zeit über wird gejagt, gesucht, gemordet und intrigiert. Wer mit wem und wer gegen wen – man weiß es nicht. Bis zum allerletzten Satz spritzt Blut, wird Glas zerbrochen, werden Menschen manipuliert und Geheimnisse verborgen. Wie die drei Protagonisten – zwischen denen die Perspektive regelmäßig wechselt, allerdings meist mit jeweils knapp 80 Seiten dazwischen – im herrschaftlichen Haus Harschmont (wie kann ein Haus so unglaublich viele Zimmer und Geheimgänge haben?), verirrt man sich als Leser in den Handlungssträngen und Ereignissen im Buch. Die Glasbücher der Traumfresser ist fesselnd und originell, stellenweise aber auch mühsam, da man vor lauter Action kaum zum Atmen kommt. Zudem bildet dieser Roman keine Ausnahme bei den Mehr-als-600-Seiten-Büchern: Er ist einfach zu dick, viele Szenen hätte man gut und gern einsparen können, da sie nur das Durchhaltevermögen des Lesers strapazieren. Der rasante Plot rund um eine geheimnisvolle Substanz, um Macht und den Kampf zwischen Gut und Böse ist aber auf jeden Fall fantasievoll und bereitet viel Lesevergnügen – wenn man genug Energie mitbringt. Streckenweise lässt das Buch zu wünschen übrig und das Ende ist geschickt so gehalten, dass man zum zweiten Teil Das Dunkelbuch greift, was ich aber nicht tun werde. 924 Seiten Abenteuer mit Miss Temple sind genug.
Mit dem Buch hatte ich eine Menge Spaß. Dieser billige Stil und die verrückte Geschichte haben mich super unterhalten und ich beherrsche mich mit Mühe, weil ich das Dunkelbuch nicht als Hardcover kaufen will – aber ich mag ja auch Fast Food 😉