Wer wagt, verliert
Inga ist im Nachkriegsdeutschland 1948 als Civilian Employee bei den englischen Besatzern angestellt und tippt dort Briefe und Listen. All ihre Tage sind gleich und quälen sie in ihrer Eintönigkeit. Als sie einen verletzten Leutnant kennenlernt, erwacht ihr Interesse: aber nicht an dem Mann, sondern am Spiel, denn der Leutnant ist ein leidenschaftlicher Kartenspieler. Er bewegt sich in hohen Kreisen, Funktionäre sitzen mit ihm am Tisch, englische wie deutsche. Dabei wird schnell klar, dass der Leutnant nicht immer vom Glück verfolgt wird – genau wie Inga. Sie verfällt der Spielleidenschaft und setzt alles daran, an den geheimen Treffen teilhaben zu können. Dazu braucht sie jedoch natürlich vor allem eins: Geld. Und dafür tut sie, was Spielsüchtige eben tun, sie lügt und betrügt.
Wer sich – wie ich – vom Klappentext ein wenig in die Irre führen lässt und in Zwischen den Gezeiten eine Liebesgeschichte erwartet, ist schief gewickelt (wobei der Klappentext das gar nicht direkt behauptet, es war eher meine eigene Fehlinterpretation der Formulierung, Inga bedeute dem Leutnant etwas). Inga und der Leutnant sind einander recht egal, vielmehr geht es um das Spielen und die Sucht, um das Aufräumen nach dem Krieg, um die „Nichteinwandfreien“ wie Ingas Vater. Ein bisschen missverständlich ist der Text auch dahingehend, dass er suggeriert, der Leutnant sei ein Spieler und Inga fühle sich von ihm angezogen – sie wirkt auf mich süchtiger als er. Ich habe das anders erwartet. Inga ist einfach langweilig und sie will etwas erleben – einerlei, ob gut oder schlecht. Sie verhält sich dabei teilweise außerordentlich dumm und bringt ihre Familie in Gefahr, aber dadurch wird die Geschichte wenigstens interessant. Ich versuche also, zusammenzufassen, was ich an dem Buch mag: den entrückten Stil, die merkwürdig zähe Story, das raffinierte und logische Ende. Was ich dagegen nicht mag, ist, dass die Perspektive eigentlich immer Ingas ist, der Leser aber ein, zwei Mal für wenige Absätze nur zu einer anderen Person wechselt – ich halte es da mit „ganz oder gar nicht“. Zudem vermisse ich die Aussage hinter dem Buch, den tieferen Sinn. Drei Prämissen lassen sich festmachen: 1. Das Leben nach dem Krieg war in Deutschland nicht einfach, 2. Viele vermeintliche Opfer waren in Wirklichkeit begeisterte Täter und 3. Wer spielt, kann süchtig werden. So weit, so gut, nichts davon ist mir neu. Dennoch ist Zwischen den Gezeiten eine solide, mittelgute Geschichte, die man ruhig lesen kann, wenn man mag.