Endlose Langeweile
Schon nach drei Seiten weiß ich, dass ich Nach Hause schwimmen nicht mögen werde. Und da liegen noch 600 Seiten vor mir. Aber der sture Bücherwurm in mir schafft es nie, ein Buch wegzulegen, auch wenn es mich noch so sehr langweilt. Vielmehr lese ich weiter und versuche zu ergründen, warum mir dieser hochgelobte Roman nicht gefällt. An der Geschichte selbst ist gar nichts auszusetzen: Es geht um Wilbur, dessen Leben bisher alles andere als einfach und angenehm war. Bei der Geburt starb seine Mutter, und so war Wilburs Start nicht der beste. Er wird herumgereicht und wächst unter schwierigen Bedingungen auf – was vielleicht der Grund dafür ist, dass er nicht besonders groß wird. Dass die Frauen, an die er sein kleines Herz hängt, sterben, scheint sein Schicksal zu sein. Aufgenommen wird er von seinen Großeltern, wobei sein Großvater der Welt innerlich längst entschwunden ist. Er hat vor Jahren sein Glück in Amerika gemacht und ist mit viel Gold zurückgekommen – zumindest glaubt das jeder. Seine Großmutter Orla liebt Wilbur abgöttisch, die beiden sind einander sehr nah. Wilbur lernt Cello spielen – und nutzt viele Jahre später eine Reise mit dem Orchester dazu, sich abzusetzen und sich auf die Suche nach seinem Vater zu machen …
Wilburs Geschichte wird aus zwei Perspektiven erzählt: In der Vergangenheit als Bericht und in der vermeintlichen Gegenwart in der Ich-Form von Wilbur selbst, der sich in der psychiatrischen Anstalt befindet. Eine gewisse Aimee, so sagt der Klappentext, zeigt ihm, warum es sich lohnt zu leben. Das ist so nicht richtig, Aimee hat nicht ganz die ihr zugeschriebene Bedeutung: Sie heitert Wilbur auf und schläft mit ihm, aber sie ist selbst mit Problemen beladen und Wilbur irrt auch als er sie bereits kennt noch immer planlos durch sein Leben. Was mir an Nach Hause schwimmen fehlt, ist das Feuer, die Leidenschaft, der Esprit. Dies ist kein Buch, von dem man nicht lassen kann. Aber es ist gut möglich, dass das nur für mich gilt: Denn ich stelle während der Lektüre fest, dass ich wahnsinnig überlesen bin. Die Vatersuche Wilburs erinnert mich sofort an John Irvings Until I find you, dass Wilbur ein Waisenkind ist, lässt mich an Eddies Bastard von William Kowalski denken und die Aggression und Verzweiflung, die Wilbur gegen sich selbst und andere richtet, sind ähnlich geschildert wie in Der Außenseiter von Sadie Jones. Was sagt uns das? Dass ich bereits zu viel gelesen habe. Dass alles irgendwie schon einmal da gewesen ist. Dass Rolf Lappert mit Sicherheit nichts abgeschrieben – aber auch nichts Neues erfunden hat.
Die Geschichte hinter Nach Hause schwimmen fordert mich nicht heraus, sie quält und schmerzt mich nicht, sie unterhält mich nicht, kurz: Sie interessiert mich nicht. Ich spüre nichts. Ich bin angeödet und jedes Mal, wenn ich einen halbwegs guten Satz lese, erleichtert. Nur passiert das in etwa alle 50 Seiten. Am schlimmsten sind die Kapitel in der Ich-Form, in denen auch der Stil wechselt: Wilbur soll betont cool und lässig dargestellt werden, sehr rotzig, sehr abgeklärt. Leider macht ihn das auch unglaublich unausstehlich. Ich denke, dass mein Urteil über diesen Roman extrem subjektiv ist. Das zeigen auch die guten Kritiken und Rezensionen. Ich bin einfach übersättigt, während viele andere Leser einen unbedarfteren Zugang zu diesem Buch finden. Es sei ihnen vergönnt.
Danke, dass hier mal jemand dieses Buch nicht in den Himmel lobt! Gerade sitze ich an einem verregneten Junitag auf dem Sofa, weil das Schwimmbad in Heslach heute geschlossen hat. Statt etwas für mein Seelenheil zu tun und zu schwimmen, lese ich also die letzten Seiten von „Nach Hause schwimmen“, dem Buch, dessen Title und Kritiken mich so neugierig gemacht hatten.
Leider muss ich feststellen, dass ich auch gegen Ende des Buches keine hellen Momente finde und mich die Geschichte zum Wetter der letzten Tage passend zunehmend deprimiert. Nicht dass ich eine rosa Welt der munde Pilcher bräuchte, aber gute Geschichten leben von Aufs und Abs. Das Versprochene Aimee-Auf vermisse ich allerdings immer noch. Nach ihrem kurzen, und meiner Meinung nach nahezu bedeutungslosen Debüt, habe ich sie eigentlich schon längst vergessen. Ich bin zwar noch nicht ganz am Ende der Geschichte angelangt, aber nun braucht die gute Aimee auch nicht wieder aufzutauchen. Selbst wie die Geschichte ausgeht, ist mir langsam fast egal. Meinetwegen kann Wilbur sogar am Ende wirklich ertrinken, das würde mich nicht mal mehr berühren. Über diese Gleichgültigkeit gegenüber des Schicksals eines Protagonisten, die ich von mir nicht kenne, bin ich gerade etwas erschrocken. Aber das muss wohl vom Antihelden selbst auf mich übergegangen sein, aus dessen trostloser Welt man bisher nichts mitnehmen konnte. Man sieht nur zu, wie er, von einem Schicksalsschlag in den nächsten taumelnd, immer wieder resigniert.
Bin ich in die dichte Erzählung anfangs noch begeistert eingetaucht, fliege ich seit mindestens 100 Seiten immer wieder über Sätze hinweg – anstatt in ihnen zu schwelgen -, weil sie sich in unwichtigen Details über Menschen verlieren, die ich nicht in die Geschichte einordnen kann. Es tauchen ständig neue bemitleidenswerte Kreaturen an der Oberfläche auf, deren Geschichte gerade so angekratzt wird, dass sie mich einfach nicht interessiert.
Dann wieder, in der Absicht, gebührlich an mein Ziel zu gelangen, versuche ich zwischendurch einzutauchen, quäle mich dann aber wieder auf ein Neues, um kurz darauf wieder ungeduldig dem Ausgang entgegen zu fliegend, von dem ich eigentlich gar nichts mehr erwarte.
Gerade kommt mir der Gedanke, dass ich mich vielleicht – von meinem Vorgänger hier aufgestachelt – in eine übertriebene Kritik versteige. Aber immerhin habe ich meine Lektüre an eine zähen Stelle unterbrochen, nur um mir im Internet eine Meinung zu diesem Buch zu holen. Dabei habe ich mich regelrecht enttäuscht von einer Lobeshymne zur nächsten geklickt, um nach dem Googlen von „Nach Hause schwimmen“ und „deprimierend“ endlich auf ein Kritik zu stoßen, die mir zumindest im Ansatz aus der Seele spricht. Würde das Buch dort enden, wo ich es zuletzt zugeschlagen habe, würde ich den Titel „Langsam und qualvoll untergehen“ passender finden.
Diese Zeilen sind lediglich, was ich aktuell beim Lesen dieses Buches empfinde. Es soll niemanden davon abhalten, sich selbst ein Bild zu machen. Stilistisch ist an dem Buch sicher nichts auszusetzen und immerhin hat es die Geschichte bis über ihre Hälfte hinaus immer wieder geschafft, mich in ihren Bann zu ziehen. Und deswegen muss ich mich jetzt wohl doch noch an die letzten Seiten begeben. Das Wetter ist ja passend.
Mein herzliches Beileid! ;o)
Und vielen Dank für den Kommentar, jetzt fühle ich mich nicht mehr so allein auf weiter Flur mit meiner Meinung über dieses Buch. Wenn man einen so vielgelobten Roman schlecht findet, denkt man ja oft, es liege an einem selbst, man habe ihn vielleicht nicht richtig verstanden oder sich nicht genug Mühe gegeben. Aber: Ich finde, das ist letztlich egal. Wenn es mir (uns) nicht gefällt, ist das eben so! Zudem können wir unser subjektives Empfinden ja in nachvollziehbare Argumente legen. Wobei es natürlich immer nur auf das eine hinausläuft: dass dieses Buch einfach schlecht ist! Grins.
Hallo Leute – was für eine Wohltat, hier auch einmal negative Kommentare zu dem Buch zu lesen!
Nachdem es mich nun zwei Jahre lang mit seinem hübschen Cover und den durchweg guten Kritiken immer in der Buchhandlung angelacht hat, habe ich es angepackt. Und ich kämpfe damit! Ich komme nicht vorwärts, finde jeden Abend Ausreden, um nicht wie sonst üblich vor dem Schlafen noch zu lesen, ärgere mich über die Tatsache, dass ich ein angefangenes Buch trotzdem nicht weglegen kann…
Ich schliesse mich dem Kommentar an, dass die Geschichte durchaus gut sein mag. Somit stellt sich mir einmal mehr die alte Frage: was ist denn gute Literatur? Darüber habe ich bereits mit meinem alten Deutschlehrer am Gymnasium jahrelang gestritten, und diese Meinungsverschiedenheit hat mir in diesem Fach konstant schlechte Noten beschert.
Übrigens habe ich mich herumgehört: einige belesene und literarisch gewiefte Freunde haben es auch gelesen, und von denen war auch niemand begeistert.
Es tut wirklich immer wieder gut, auf jemanden zu treffen (und sei es nur virtuell), der ein Buch ebenfalls schlecht findet, wenn alle anderen sich vor Begeisterung überschlagen … allerdings ist es natürlich nicht gut, dass du dieses Buch jetzt lesen „musst“ 😉
Ich habe erst heuer zum ersten Mal ein Buch abgebrochen und bin sehr stolz auf mich, weil es ja stimmt, dass man damit nur Lese- und Lebenszeit verschwendet. Vielleicht kannst du ja mit Rolf Lappert lernen, einen Roman auch mal halb gelesen wegzulegen … ich kann nur sagen: Besser wird das Buch nicht 😀