„Manchmal ist es, als würde alles Vergangene zu Poesie“
So ist es auf jeden Fall mit Das Licht auf den Bergen: Die kleinen, abstrusen Geschichten, die der Isländer Jón Kalman Stefánsson erzählt, sind voller Poesie. Sie sind wild und verrückt, schillern vor Überraschungen, Magie und Wehmut. Schauplatz der Ereignisse ist ein winziger Ort am Rand von Island, völlig abgeschieden, die Bauernhöfe liegen hier weit auseinander, Fremde sieht man nie. Umso merkwürdiger, dass sich einer aus dem Dorf einbildet, bald würden Touristen kommen. Dass den Einheimischen dann fast die Augen aus dem Kopf fallen, als tatsächlich ein Reisebus mit einer deutschen Gruppe auftaucht, ist sehr amüsant geschrieben. Der Ich-Erzähler, zum Zeitpunkt der Erinnerungen, in denen er schwelgt, ein junger Mann, berichtet von den schrägen Gestalten in dieser Gemeinde: von Starkathur, dem Dichter, der so verliebt ist, dass er fast sterben muss an der Liebe, von Hnúkar, der endlich den Fortschritt ins Dorf bringen will, und vom „Apostel“, der eines Tages gefürchteten Besuch bekommt. Das sind nur einige der vielen liebenswerten und schrulligen Figuren, die Stefánsson in einem bunten, faszinierenden Reigen auftreten lässt. Sie saufen viel, die Isländer, sie streiten und sie raufen sich, sie sind raue Genossen und haben einen so weichen Kern, dass Gedichte, magische Geschichten von Elfen und Trollen und das Lächeln einer Frau sie völlig aus dem Konzept bringen.
Das Licht auf den Bergen ist das letzte Buch einer Triologie, aber das erste, das ich gelesen habe. Die Vorgänger verpasst zu haben, macht überhaupt nichts . Ohnehin knüpft Stefánsson in diesem Buch eine skurrile Begebenheit an die andere, streut unvergleichliche Metaphern ein, kümmert sich nicht um die Realität oder wissenschaftlich Beweisbares, im Gegenteil, Geister und Flüche gehören zu diesem Roman wie zu Island selbst. Es ist ein Land, von dem ich wenig weiß, und dessen Bewohner mir unbekannt sind – umso mehr Spaß macht es, sie in ihren besten und schlechtesten Eigenschaften skizziert zu sehen. Stefánsson ist ein Autor, der berühren und zum Schmunzeln bringen kann, der seine Figuren mit einer solchen (Schaden-)Freude aneinandergeraten lässt, dass die Zeilen richtig vor Ironie und Lebenslust zu vibrieren scheinen. „Er springt tatsächlich umher und wartet darauf, dass ihm die Gabe des Fliegens unter den Armen wächst“, heißt es, oder: „Heute Nacht darfst du lügen. Mach es nur gut, und vielleicht kommt der Morgen nie.“ Obwohl das Buch teilweise ein wenig wirr ist (und das Cover richtig hässlich) und ich keinen einzigen der zitierten isländischen Dichter und wichtigen Personen kenne, mag ich es – es macht mich einfach fröhlich.
Das Gedicht So ist es von Starkathur:
du, den wir mit tausend namen nennen,
der aber einzig ist;
manchmal wird der unablässige strom der zeit
zu einem traurigen refrain in deinem herzen
und alles übrige wird bedeutungslos
dann wischst du die wolken von der erde und schaust
du siehst länder sich scheiden von meeren
berge von ebenen
siehst schluchten sich öffnen im berghang
und du siehst das menschenmeer zu völkern werden
dann siehst du gut hin, hältst lange ausschau
bis du einen gehen siehst
die brust voller düsterkeit
dann schüttelst du dein himmelhoches haupt, immer gleich erstaunt
murmelst, sieh mal an
so klein
und es kann ihm doch schlecht gehen