Lukas Bärfuss: Hundert Tage

Hundert Tage im Bürgerkrieg von Ruanda
„Mein Land brauchte mich nicht, doch dort, in Afrika, war noch ein Tausendstel meines bescheidenen Wissens ein Reichtum, und diesen wollte ich teilen.“ Den Schweizer  Entwicklungshelfer David Hohl treiben große Ideale an. Er geht ihm Jahr 1990 nach Ruanda, um den Menschen dort zu helfen, um etwas zu verändern. Doch schnell steht er vor einer unüberwindbaren Wand aus Bürokratie, Mentalitätsunterschieden, Korruption und Unverständnis. Nichts bewegt sich, ihm ist langweilig, er erkennt die Heuchelei hinter der vermeintlichen Entwicklungshilfe. „Die Hilfsorganisationen waren verrückt nach diesem Land, man trat sich gegenseitig auf die Füße, und es gab buchstäblich nicht einen Hügel ohne Entwicklungsprojekt. (…) Sie waren geradezu süchtig danach, auf der Seite der Opfer zu sein.“ Als David sich in die schöne Afrikanerin Agathe verliebt, merkt er, wie hohl all seine Ideale sind. Die beiden können einander nie wirklich nahe kommen, Agathe interessiert sich nicht für Davids Drang, ihrem Land zu helfen – sondern nur für sich selbst. Während sich die Lage in Ruanda plötzlich verschärft, fliehen die Schweizer – doch David bleibt. Rund um ihn beginnt ein sinnloses und grausames Morden, das David nicht versteht und das auf ihn dennoch zutiefst menschlich wirkt. Hundert Tage lang versteckt er sich, hundert Tage lang lauert der Tod vor seiner Tür. Und es ist ungewiss, ob sie ihm helfen werden, wenn sie ihn entdecken …

Hundert Tage ist ein hartes und zynisches Buch über die Ironie hinter der Entwicklungshilfe, über das Bedürfnis der Weißen, eine Erbschuld zu tilgen und sich damit selbst zu helfen. Lukas Bärfuss ist ein gefeierter Schweizer Dramatiker, der es in diesem Roman schafft, den Druck des Pathos zu umschiffen. Er lässt seinen Protagonisten David die Geschichte in der Ich-Form erzählen, er schmückt sie mit bissigen Worten, gescheiterten Hoffnungen und viel Resignation. Diese Gefühle bestimmen auch das stilistische Bild, das mit direkten Formulierungen, sarkastischen Metaphern und authentischer Ehrlichkeit überzeugt. Dass jeder im Ernstfall nur an sich selbst denkt, ist bekannt – und wird hier vom Autor eindrucksvoll geschildert. Die Hauptfigur gerät mitten hinein in einen Krieg, in einen Genozid, über den sich die ganze Welt echauffiert, ohne etwas zu unternehmen. Da keiner der Entwicklungshelfer die Sprache der Einheimischen spricht (!), ist ihr Wissen über sie stets nur zusammengedichtet. Es geht in diesem Roman um Gewalt, um Korruption und Heuchelei. Und um den Versuch, das Leid zu beenden – der letztlich vergeblich ist.

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