Michael Stavaric: Stillborn

Ein Lesefluss, in dem man ertrinkt
Die zurückhaltende Elisa ist Maklerin, und sie mag leere Wohnungen, schätzt Räume, Böden und Fenster mehr als Menschen. Zu sich selbst hat sie ein beinahe schizophrenes Verhältnis, sie findet sich hässlich und fühlt sich wie tot, eine Totgeburt ist sie in ihren Augen. Und doch träumt sie vom erfüllten Klischeeleben, von einem Mann, zu dem sie nach Hause kommen kann, von Kindern. Sie hat keine Stabilität, zieht immer wieder um, nirgends hält es sie: „Ich werde umziehen, gleich morgen, die Post stellen sie mir inzwischen mit einer solchen Selbstverständlichkeit zu, zum Kotzen“. Ein Therapeut kann ihr nicht helfen, er scheint es auch nicht zu versuchen, sie erzählt ihm, was er hören will, treibt ihre Späße mit ihm. Verschiedene Männer ziehen durch ihren Alltag, aber einen Widerhaken, um dranzubleiben und sich zu verlieben, bieten sie Elisa nicht. Anders könnte das vielleicht mit Georg sein, der in einem besonderen Fall ermittelt: Die Wohnungen der Maklerfirma werden eine nach der anderen von einem unbekannten Täter in Brand gesteckt …

Stillborn ist ein Ausnahmebuch, ein Strom, der den Leser von den Füßen reißt. Das liegt an der Flut von Worten, die über einem zusammenschlagen. Denn Michael Stavaric schreibt in einem unfassbar wortreichen Stil, er reiht Wörter und Sprachfetzen so aneinander, dass sich ein atemloser Sog ergibt, dass eine Wucht entsteht, der man kaum standhalten kann. Die Kommataste auf seiner Tastatur ist vermutlich völlig abgenutzt. Diese Schreibweise lässt den Roman hektisch werden, ruhelos und anstrengend. Klare Strukturen gibt es nicht, die Satzstellung ist stellenweise so verdreht, wie das Deutsche es zulässt. „Am Abend, wir treffen uns spontan, er, sie, ich, atmen, atmen gemeinsam, er atmet wie ein Mensch eben atmet, ein, aus, ein, aus, ich atme anders, es fühlt sich kalt an, kalt, tot“ heißt es dann oder: „Herr Doktor, man lebt, lebt, arbeitet, atmet, macht seinen Job, gewinnt, verliert, lernt, lernt sich, ihn, sie kennen, verstehen, schätzen, kann gut mit Eltern, Tieren, aber man ist tot, tot innen drin, das ist viel schlimmer, das sieht keiner.“

Es ist schwierig, sich nicht in diesen Beschreibungen zu verirren, die Augen haben Probleme, diesen Wortaneinanderreihungen zu folgen und den Faden, der alles verbindet, zu erkennen. Ich bin jemand, der praktisch nichts anderes tut als lesen, und doch habe ich Mühe mit diesem Roman, immer wieder wirft es mich aus dem Lesen hinaus, ich muss zurückblättern, um vorwärts zu kommen. Die Protagonistin bleibt mir trotz der Einblicke, die sie zulässt, fremd, sie ist neurotisch und hat derart wenig inneres Gleichgewicht, dass sie kaum lebensfähig scheint. Dennoch muss man dem Autor zugestehen, dass er etwas gewagt hat, dass er versucht hat, das Leben so zu fassen, wie es manchmal ist: überbordend, belastend, eine unendliche Sammlung aus widerspenstigen Reizen. Dieses Buch zu lesen, ist, wie einen Fünf-Liter-Eimer Flüssigkeit mit einem Strohhalm auszutrinken, nur einzelne Wörter passen durch und oft verschluckt man sich. Stillborn hat mich fasziniert, aber begeistert hat es mich nicht.

Stillborn ist erschienen im dtv (ISBN 978-3-423-13915-1, 8,90 Euro).

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