„Manchmal habe ich das Gefühl, dass schon hinter kleinsten Rissen ein Abgrund klafft“
Endlich ist es soweit: Bastian und Nina fliegen in den Urlaub nach Thailand. Darauf freuen sich die beiden, die eine Fernbeziehung führen, seit Monaten. Beinahe hätte es nicht geklappt, denn Bastians Vater ist kurz zuvor gestorben, und einen Streik gab es auch noch. Er hat es aber rechtzeitig geschafft, die Beerdigung abzuwickeln und den Nachlass zu regeln. An Entspannung ist in Thailand trotzdem nicht zu denken: Während Nina vor Tatendrang sprudelt, will Bastian sich eigentlich nur betäuben. Deshalb taumelt er von Bar zu Bar, verschwitzt, verärgert, mit der Bürde der Vergangenheit auf den Schultern – und einer genervten Freundin an der Seite. Was tut ein Mann in einer solchen Situation? Richtig. Er haut ab. Bastian schließt sich einer Gruppe rund um eine geheimnisvolle Frau an, die eine Art Geocaching-Abenteuer inszeniert. Doch egal, mit wem oder wohin Bastian geht: Was einst mit seiner Mutter geschehen ist, verfolgt ihn überallhin.
Frank O. Rudkoffsky hat ein Buch über einen jungen Mann geschrieben, der glaubt, der Tod seines Vaters würde ihm nicht den Boden unter den Füßen wegziehen – und der nicht merkt, dass er längst dabei ist, in den Abgrund zu fallen. Weil er es nicht wahrhaben will. Weil er sich mit Händen und Füßen wehrt – und dabei jeden schlägt, der in seine Nähe kommt. Allen voran natürlich Freundin Nina, die als geradezu nervtötend perfekt beschrieben wird. Da gibt es Spannungen, die schon lange in der Beziehung sitzen, und Spannungen, die von Bastian induziert sind, weil er in einer selbstzerstörerischen Phase steckt. Was genau in Bastians Kindheit geschehen ist, erklärt der Autor anhand von Briefen bzw. Nachrichten in einem Buch, in dem Bastians Eltern miteinander geschrieben haben, als sie wegen der Depression von Bastians Mutter nicht mehr offen miteinander reden konnten. Nach dem Tod des Vaters besitzt nun Bastian dieses Buch. Nur erträgt er es nicht, darin zu lesen.
Ich mag an Dezemberfieber die Sprache. Ich mag einzelne Szenen, wie beispielsweise dass die Zikaden aufschrillen, als Bastian und die fremde Frau sich anschauen. Ich mag den Wechsel aus Gegenwart und Vergangenheit im Spiel der Perspektiven. Was ich an Dezemberfieber nicht mag, ist Bastian. Ganz unerträglich finde ich den egozentrischen Kerl. Wie ihm in der Hitze Thailands alles entgleitet, ist absolut glaubwürdig und einfühlsam beschrieben. Bloß würde ich ihn, während er säuft und sich bemitleidet und sich aufführt wie ein Vollidiot, am liebsten packen und schütteln, auf dass er endlich aufwachen und sich seinem Schmerz stellen möge. Vielleicht muss ich mich als Frau automatisch ein bisschen mit der blassen Nina identifizieren, vielleicht tut sie mir einfach nur leid. Womöglich hab ich auch keine Geduld für Jungspunde, die nicht den Mumm haben, sich mit den eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen. Das ist natürlich höchst subjektiv. Daran, dass Dezemberfieber ein gutes Buch ist, ändert das nichts. Tobias vom Buchrevier, der mich auf dieses Buch gebracht hat, hat Recht, wenn er schreibt: „Aber können diese Newcomer auch schreiben? Nach den ersten Seiten von Dezemberfieber atmete ich befreit durch. Ja, zumindest Frank Rudkoffsky kann es. Sehr gut sogar.“
Dezemberfieber von Frank O. Rudkoffsky ist erschienen im Verlag duotincta (ISBN 978-3-946086-02-4, 316 Seiten, 16,95 Euro). Hier findet ihr noch eine Besprechung bei Literaturen.