Vom Davonlaufen und Ankommen
„Die Taschen packen. In die Dschungelschuhe schlüpfen, in den Zug steigen oder ins Flugzeug. Sitzen und die Augen geschlossen halten. Es ist die einzige Macht, die ich kenne: zu verschwinden.“ Seit 10 Jahren ist Anna unterwegs in der Welt, hält sich nie lange auf an einem Ort und lässt nicht zu, dass ein Mensch ihr ans Herz wächst. Doch als sie in Kairo den Zeichner Paul trifft, kann sie nicht verhindern, dass er ihr näher kommt als alle anderen. Mit ihm gemeinsam versucht sie das Geheimnis ihrer Familie zu ergründen: Warum und wohin ist ihr großer Bruder Franjo vor 15 Jahren verschwunden? Als Anna die quirlige Marjana kennenlernt, ist Paul längst fort. Und ihr wird klar, dass sie ihn nicht hätte gehen lassen dürfen …
Kopf aus den Wolken ist das Porträt einer Getriebenen, die sich der Flucht verschrieben hat und nicht mehr anhalten kann, 10 Jahre lang. Der lieblose Vater ist es, vor dem Anna flieht, die stumme Mutter, das Rätsel um den über alles geliebten, verschollenen Bruder. Die Liebe zu Paul spült alle verdrängten Gefühle in Anna frei, mit seinem Zeichenstift hält er auf Papier fest, was sie nicht sagen kann. Erst als sie Paul verloren hat, erkennt Anna, dass sie zurückgehen muss, um voranzukommen, und sie folgt seiner Spur nach New York, Hamburg, Berlin, um schließlich dort anzukommen, wo alles begonnen hat: zuhause in Wien. Und es gelint Ruth Cerha tatsächlich, mich zu überraschen, als das Geheimnis von Annas Familie letztlich gelüftet wird – ich bin begeistert und fasziniert.
Ich mag das Ruppige an Ruth Cerhas Schreibstil, das Kantige, Unliebsame und vor allem die ausgezeichneten Formulierungen: „Seine lange, schmale Gestalt entfernte sich so schnell, dass ich es kaum begriff, aber der Anblick seiner nackten Füße und der baumelnden Schuhe brannte mir in jede einzelne meiner Zellen ein winzig kleines Loch.“ Es ist, als hätte Ruth Cerha ihre Sätze wie eine Bildhauerin aus einem Stein gebrochen und dabei ein raues, aber wunderschönes Gebilde geschaffen. Kopf aus den Wolken ist herausragend gut geschrieben, ein trauriges und doch lebensbejahendes Buch, ein Buch wie ein Traum, gleichzeitig leichtfüßig und tiefgründig.
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